Die Carretera Austral liess der damalige chilenische Diktator Augusto Pinochet in den 80-er Jahren durch Rekruten bauen, um den abgelegenen Süden des Landes besser zu erschliessen. Sicher gab es dabei auch militärstrategische Überlegungen. Noch heute gibt es nur eine Fährverbindung von dieser Strasse ganz nach Süden nach Puerto Natales und weiter zur grössten chilenischen Stadt im Süden, Punta Arenas. Auf der Strasse gibt es nur eine Verbindung über Argentinien. Das südliche patagonische Eisfeld versperrt den Weg. Die Strasse ist rund 1200 Kilometer lang und endet in Puerto Montt.
Wer über den Paso Roballos, diese abgelegen aber sehr schön gelegene Grenzstation nach Chile einreist, erlebt einen eindrucksvollen Wechsel von der patagonischen Steppe zu den patagonischen Bergen, den Anden. Wir durchfahren den National Park «Patagonia», der durch die Witwe des verstorbenen Gründers der Outdoormarke NorthFace geschaffen wurde, indem sie das Land einem Schafbauern abkaufte und den Nationalpark proklamierte. Dies ist kein neuartiges Vorgehen, denn die Familie hat schon weiter im Norden zwei Parks auf diese Weise geschaffen. Ziel der Familie ist es, den Park dem Staat zurückzugeben, welcher sich verpflichten muss, den Park zu betreiben.
Rückgrat des Parks ist das Tal des Rio Chacabuco, welcher später in den Rio Baker – dem wasserreichsten Fluss Chiles – fliesst. So geniessen wir unsere Fahrt durch dieses herrliche Tal und schwenken am erwähnten Zusammenfluss der beiden Flüsse auf die Carretera nach Süden ein.
Auf unserer Veloreise sind wir weiter nördlich nach Chile eingereist und dann sogleich nordwärts geradelt. Denn die Strasse ging bis nach Cochrane und um O’Higgins, den heutige Endpunkt zu erreichen, brauchte es Pferde und einen Mehrtagesritt.
O’Higgins - am Ende der Strasse
Darum wollen wir auf dieser Reise ganz bis zum Ende in O’Higgins nach Süden fahren; auch wenn dies bedeutet, dass wir einen Tag später einfach auf derselben Strecke wieder nordwärts fahren. Zweimal rund 200 Kilometer Schotter.
Wir machen auch einen kurzen Abstecher von 20 Kilometern nach Caleta Tortel. Das Fischerdorf ist daher speziell und in jedem Reiseführer erwähnt, weil es keine Strassen gibt; nur Holzstege, beziehungsweise Holztreppen. Das hat man recht schnell gesehen und wir müssen zur Fähre, die uns in etwas mehr als einer halben Stunde über den Fjord zum allerletzten Teil der Carretera bringt. Durch unterschiedliche Angaben im Internet sind wir dann nicht zeitlich knapp, sondern eine Stunde zu früh da. Egal.
Hier ganz unten ist die Carretera noch authentisch, wie wir sie kannten. Eine enge, einspurige Schotterstrasse, zum Teil fast im südlichen Regenwald versinkend, ein stetiges Auf und Ab und, wenn es die Wolken zulassen, herrlichen Ausblicken auf Berge, Seen und den Wald. Die Strasse selbst lässt maximal etwa 40 kmh zu und erfordert stetige Konzentration. Andere Autos gibt es hier kaum mehr. Aber so ziehen sich die Kilometer dahin, bis wir abends O’Higgins erreichen.
Durch das Verlängern der Strasse bis O’Higgins erwarteten die Einwohner hier auch einen Aufschwung des Tourismus. Scheint aber nicht so recht zu funktionieren, denn die Fähre hat nun mal eine Kapazität von ca. 20 Fahrzeugen und kann maximal einmal pro Stunde fahren. (Die Fähre ist übrigens gratis, denn sie ist ja Teil der Strasse. Und sie müsste noch etwas an Fahrgeschwindigkeit zulegen, um die Stunde wirklich zu erreichen.) Mehrverkehr kann man sich auf diesem «Weglein» nach Süden auch nicht wirklich vorstellen.
Für Velofahrer ist es aber immernoch eine klassische Route, von Puerto Montt die gesamte Strecke bis O’Higgins zurückzulegen. Velofahrer und Wanderer können sogar über einen kleinen Grenzübergang, zu dem man wiederum nur mit einem Boot gelangt, nach Argentinien (El Chalten, Fitzroy) weiterreisen. Wir haben einige Radler angetroffen und sie auch bewundert, wie sie hier unten bei ständigem Nieselregen und verhangenen Bergen munter pedalen.
O’Higgins hat den Charakter eines Pionierdorfes und es wird sichtbar, dass hier Gelder der Regierung geflossen sein müssen, um zum Beispiel einen schönen Dorfplatz zu gestalten. (Vergleichbar mit Subventionen an Schweizer Bergbauern?)
8 Kilometer hinter O’Higgins stehen wir nun an einem kleinen, ebenfalls mit Staatsgeldern finanzierten, Fischereihafen, von dem aus ein Boot Touristen an den nördlichen Rand des südlichen patagonischen Eisfeldes bringt. Dorthin, wo die Gletscher direkt ins Meer fliessen.
Hier ist das Ende der Carretera Austral und ein Schild bestätigt das. Ein Schild? Nein, es sind insgesamt drei Schilder. Es gibt da noch die zwei alten. Die hat man stehen lassen. Also bei drei Schildern ist klar: Wir sind am Ende der Carretera Austral angelangt.
Schilder stehenlassen: Es scheint uns, dass in diesen Ländern ein Schild, dass mal an der Strasse aufgestellt wurde, grundsätzlich nie mehr weggenommen wird. Höchstgeschwindigkeit 20kmh, dabei ist die Strasse seit mindestens 10 Jahren fertig gebaut.
Nun also alles zurück nordwärts. Schön, dass sich das Wetter geöffnet hat und wir mehr Berggipfel und Gletscher sehen. Dieses Mal ist es gut, frühzeitig bei der Fähre zu sein, denn die Kapazität ist voll ausgeschöpft. (Zentimeterarbeit beim Parkieren. Man muss bei dieser Fähre rückwärts drauf fahren!) Hätten wir keinen Platz, müssten wir drei Stunden warten. Der Kapitän und seine Mannschaft wollen ja auch mal Mittagspause machen…
So bleibt unser Reisetempo aber «flüssig» und abends sind wir zurück in Cochrane, wo wir im Innenhofgarten einer Familie campieren. Nach einem Tag Reorganisation – vor allem Kleider waschen, aber auch mal unter den Toyo liegen und schauen, ob wir Teile auf der Schotterstrasse zurückgelassen haben – geht es weiter.
Cuevas de Marmol
Die Marmorhöhlen bei Puerto Rio Tranquillo sind wohl einzigartig. Die Höhlen kann man nur vom Wasser aus mit einem Boot besuchen. Ansonsten lassen wir hier die Fotos sprechen.
Valle Exploradores und eine Begegnung der eher komischen Art
Wieder ein Abstecher von der Carretera. Ziemlich üble Schotterstrasse. In unserem Reiseführer finden wir einen Tipp für eine Campingmöglichkeit, bei einem von einem deutschen Paar betriebenen Hospedaje (Pension). Unser eher kurzer Besuch dort ist aber schon etwas schräg.
Die Frau sitzt mit einem Angestellten (wie wir später erfahren) und der etwa 12 Jahre alten Tochter auf der Veranda und erkennt unsere Schweizer Autonummer sofort. Ah, aus Zürich… Dann beginnt sie bald aufzuzählen, was sie uns alles anbieten kann. Kaffee, Apfelkuchen («Kuchen» ist auch mit Schild an der Strasse angeschrieben). Einverstanden. Unsere Blicke treffen sich und es ist klar: Hier Campieren- nein. Als wir dann bei Kaffee und Kuchen (Qualität «mittel») sitzen, redet sie uns den Kopf voll von einem Unfall, den sie vor ein paar Wochen hatte und was dies dann bedeutete in Bezug auf Arzt, Spital etc. Und dass sie den Arm immer noch nicht richtig bewegen kann und Schmerzen hat und und und. Ist ja alles ok, aber die Frau hat ein riesiges Mitteilungsbedürfnis und ausser, dass sie festgestellt hat, dass wir Schweizer sind, hat sie nie gefragt; auch nicht, ob wir vielleicht noch was anderes wollen als ihren Kaffee und Kuchen. Schlussendlich kaufen wir ihr noch einen selbstgemachten Brotaufstrich ab und verabschieden uns dann zügig. Wo man hätte campieren können bleibt unbekannt.
Unser Eindruck ist weit weg von einen «Tipp», den der Autor des Reiseführers hier gesehen hat und zeigt, wie persönlich gefärbt (ausser den wirklichen Sehenswürdigkeiten wie den Marmorhöhlen zum Beispiel) die Reiseführer sind. Das gilt auch für die in den Führern erwähnten Campingplätze. Solche die hochgelobt wurden, fanden wir nicht so toll. Solche die gar nicht erwähnt wurden, waren ganz ok.
Jedenfalls fahren wir weiter ins Valle Exploradores hinein und finden einen wilden Platz am Fluss und das erst noch mit genügend Windschutz.
Am andern Morgen herrliches Wetter und daher perfekt für eine kurze Wanderung durch zauberhaften Regen-Urwald auf eine Endmoräne. Hier können wir sogar den südlichsten Viertausender der Anden, den mit Eis und Schnee bedeckten Mount Valiant sehen. Eher eine Seltenheit, wie uns der erstaunte Park Ranger (Guardaparque) bei unserer Rückkehr versichert.
Die Ripio Piste beschränkt noch unsere Geschwindigkeit nordwärts bis Cerro Castillo. Dann aber ist es vorbei mit dem Geschüttel, und wir kommen auf Asphalt zügig voran.
In Coihaique möchten wir an einem Geldautomaten unsere Vorräte aufstocken. Es ist Sonntag. Alle Banken haben ihre Rollläden heruntergelassen. Kein Bankautomat ist mehr sichtbar. Langsam wird’s etwas knapp mit dem Bargeld. Immerhin kann man in Chile fast immer die Karte einsetzen, wenn eine Internetverbindung vorhanden ist.
Ein Ziel unserer Reise ist auch, dass wir ein paar Orte besuchen, die wir auf Grund ihrer Abgelegenheit mit dem Velo links liegen lassen mussten. So auch Puerto Aysen. Nach Reiseführer gibt es dort eigentlich nichts zu sehen. Wir wollen aber trotzdem hin und einen Augenschein mitnehmen. Dieser Ort und insbesondere der Nachbarort Puerto Chacabuco ist der Hafen für die Versorgung des Südens und insbesondere der Stadt Coihaique.
In den spärlichen Restaurants und Cafés läuft der Fussball WM Final. Zwar ist Chile nicht mit von der Partie, aber gleichwohl will man wissen, ob es Argentinien dieses Mal schafft. Wir finden ein kleines Café OHNE laufenden Fernseher und geniessen das. Wer Weltmeister ist, werden wir noch früh genug erfahren.
Moderne Carretera Austral
Wie schon erwähnt, ist die moderne Carretera asphaltiert, verbreitert, zum Teil auf neuer Trasse angelegt und hat somit zumindest für uns - viel von der Authentizität und dem Charme, aber auch der «Härte» für Velofahrer verloren.
Auch mit dem Auto rollt man so dahin, macht seine Kilometer. Einzig am Portezuelo Queulat, wo wir vor über dreissig Jahren bei strömendem Regen kurz vor der Passhöhe (ca. 550 müM) das Zelt an den Strassenrand gestellt haben und 48 Stunden ausharrten, bis das Wetter besser wurde, wird es auch heute noch etwas spannender. Auch hier ist zwar die Asphaltierung oder besser Betonierung der Trasse in vollem Gange, aber auf der Nordseite ist die Carretera noch «original». Krasser Schotter und speziell in den Haarnadelkurven grob aufgerissen. Von den Velofahrern haben wir gehört, dass sie den ganzen Aufstieg geschoben haben. Und der Aufstieg beginnt ja auf Meereshöhe.
Puerto Puyuhuapi – von Deutschen gegründet und mit eigener Kleinbrauerei - war schon vor dreissig Jahren ein trostloser Ort, mit kaum einer akzeptablen Unterkunft. (Trotzdem mussten wir dort nach dem Ausharren am Pass einen Ort finden, wo wir die Kleider wieder trocknen konnten. Wir nahmen aber, wie wir uns erinnern, die eigenen Schlafsäcke, um uns in die Betten zu legen…)
Heute ist es kaum anders und nach einem Kaffee fahren wir weiter.
Wilde Übernachtungsplätze zu finden ist auf der Carretera sehr schwierig. Links und rechts der Strasse ist abgezäunt und wenn es mal ein Tor gibt, ist dieses eigentlich immer mit einer Kette und Schloss zugesperrt. So landen wir diesen Abend auf einem niedlichen, sauberen (Dusche und WC) Kleincamping bei einem älteren Herrn. Eine Familie, die am andern Ende des Platzes im Zelt schläft, stört uns nicht. Der Platz ist zwar nur wenige Meter von der Carretera entfernt. Hier stellt aber nachts der Verkehr den Betrieb ein und stört uns nicht.
Dann nehmen wir Abschied von der Carretera. Wir denken, dass wir gesehen und erlebt haben, wie sie heute ist und weiter nordwärts ändert sich das nicht. Lieber wollen wir auf die argentinische Seite zurückkehren, denn diese haben wir schon mit dem Velo damals ausgelassen.
So erreichen wir Futaleufu, nachdem wir am mächtigen Fluss, auf dem heftig geraftet wird und dessen Stromschnellen die Kajaker fast in sich versinken lassen, einen Augenschein genommen haben.
Anderntags reisen wir wieder nach Argentinien ein; fahren aus den tiefen Tälern der Anden hinaus ins patagonische, trockene Hügelland bei Trevelin.
Hier haben wir – mal eine Abwechslung zum Schlafen im Auto – eine Cabana reserviert für die Weihnachtstage. Hoffentlich mit gutem WLAN für einen Videocall mit der Familie zuhause.